Samstag, 7.12.2002



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Der lange Schatten der Currywurst

Vor 21 Jahren kam ein gewisser Horst Schimanski über Duisburg und blieb – seither haftet das Schimi-Image an der Stadt wie Frittier-Geruch am Pullover


Von Henrike Roßbach

Duisburg – Nur der Geruch nach Frittenfett ist der selbe. Sonst erinnert im „City-Imbiss“ von Duisburg-Ruhrort wenig an die Zeit, als ein ruppiger Bulle mit Schmuddel-Jacke hier Stammgast war. Currywurst mit Pommes hat er gegessen und mit der Dame vom Grill geflirtet. Inzwischen steht Erhan Yamal hinter der Theke und verkauft Döner. „Vorher war hier ein Asiate drin“, sagt er, „und davor war das eine Pommesbude.“

Diese Pommesbude hatte 1981 ihren ersten großen Auftritt. In „Duisburg- Ruhrort“ trat ein neuer Tatort-Kommissar seinen Dienst an: Horst Schimanski. Und ein Typ wie Schimanski brauchte als zweite Heimat eine Imbissbude. Schon alleine deshalb, weil sich in seiner Wohnung das dreckige Geschirr stapelte. „Die älteren Leute, die hier reinkommen, die wissen das“, sagt Yamal. „Die erzählen dann davon, dass hier früher Filme gedreht wurden.“ Am diesem Sonntag wird Schimi auf den Bildschirm zurückkehren: Dann läuft der Film „Asyl“ ab 20. 15 Uhr in der ARD. Ein Teil der Handlung spielt wieder dort, wo die Kultfigur groß geworden ist: in Duisburg.

Horst Schimanski ist wahrscheinlich der berühmteste Sohn der Stadt. „Die Bekanntheit Duisburgs hat er auf jeden Fall gesteigert“, sagt Josef Krings. 22 Jahre lang war Krings Oberbürgermeister von Duisburg. Schimanskis Dienstantritt fiel mitten in seine Amtszeit. Heute ist Krings im Ruhestand. Ein ruhiger, entspannter Mann mit weißen Haaren. In seinem Buch „Begegnungen“ hat er dem berühmten Kommissar ein Kapitel gewidmet – zwischen Joseph Beuys und Yehudi Menuhin.

Duisburg und Schimanski – am Anfang war das keine große Liebe: „Der erste Film war vielleicht der problematischste“, meint Krings. Nachdem „Duisburg-Ruhrort“ ausgestrahlt worden war, „setzte eine leidenschaftliche Diskussion ein: Schadet der Film dem Image der Stadt oder nicht?“ Der Leiter der städtischen Mordkommission empörte sich, bei ihm dürfte dieser Mann nicht mal Fahrraddiebstähle bearbeiten. Die Duisburger fanden, ihre Stadt komme zu schlecht weg. „Viele haben gesagt: ‚Ach, wenn die doch mal an die Seenplatten gehen würden oder ins Universitätsviertel’“, erinnert sich Krings. „Aber was Duisburg zu zeigen hat, sind nun mal Zechen und Stahlwerke.“

Ihren bizarren Höhepunkt erlebte die Schimi-Diskussion aber erst 1998 mit dem Film „Rattennest“. Kinder, die unter einer Brücke hausen und sich an brennenden Mülltonnen wärmen – das war den Duisburgern zu viel. Die CDU- Opposition war derart empört über die Darstellung der Stadt, dass sie im Kulturausschuss einen Antrag stellte: Sie wollte den Abspann „Wir danken der Stadt Duisburg für die freundliche Unterstützung der Dreharbeiten“ verbieten lassen. SPD-Mann Krings schüttelt noch heute den Kopf über diese Aktion. Die Mehrheit aus SPD und Grünen lehnte den Antrag dann auch ab. Krings: „Wir hätten uns unsterblich blamiert.“ Er hat die ganze Aufregung um die Figur Schimanski sowieso nie richtig verstanden. „Ein feiner Pinkel hätte das Ruhrgebiet als Polizist nicht repräsentieren können.“

Sentimentaler Prolet

Einen feinen Pinkel hatten Schimanskis Väter auch nicht im Sinn, als sie auf der Suche nach einem neuen Kommissar für den WDR-Tatort waren. „Wir wollten etwas ganz anderes machen als das, was es Ende der Siebziger im Fernsehen gab“, sagt der Regisseur Hajo Gies. Mit Kollegen von der Bavaria Film Produktion erschuf er diesen neuen Polizisten-Typ: „Wir wollten keinen Kommissar, der für alles Verständnis hat, sondern einen mit Ecken und Kanten, der auch mal auf den Tisch haut.“

Duisburg schien die ideale Umgebung für einen wie Schimanski zu sein. Schon alleine wegen des Binnenhafens, dem größten Europas: Hier konnten Schmuggelgeschichten spielen, mit Verbindungen nach Holland und Belgien. „Außerdem war Duisburg rein fotografisch am interessantesten“, sagt Gies. Bei der Bavaria riefen die Ideen der Schimi-Erfinder zunächst kein Entzücken hervor. „Ich musste andauernd ins Büro vom Chef kommen“, erzählt Gies. „Der hat mich dann gefragt, ob ich wahnsinnig wäre. Das Publikum würde uns den Schimanski um die Ohren hauen.“ Auch Gies war sich seiner Sache nicht so sicher. „Wir hatten gedacht, wir machen nur drei Filme, dann werden wir abgeschossen“, gibt er zu.

Es kam anders: Das Publikum liebte den sentimentalen Proleten Schimanski, samt Jacke, Kollege Thanner, Flüchen und Prügeleien. 29 Tatorte lang ermittelte er, zwölf mal unter Regie von Hajo Gies. Der ist sich sicher, dass Schimi ein Gewinn für die Stadt war. „Duisburg ist durch Schimanski berühmt geworden. Wer wüsste sonst, wo Duisburg liegt? Und dass es nicht ‚Bad Duisburg’ ist, war ja bekannt.“ Aber 1991 sollte mit „Der Fall Schimanski“ Schluss sein. Gies: „Wir haben selber Schluss gemacht und nicht gewartet, bis die Quoten runtergehen.“ 1997 zog Götz George die Schimi-Jacke trotzdem wieder an. Jenseits vom „Tatort” produzierte die Colonia Media zehn Schimanski-Spielfilme. Auch Gies konnte es nicht lassen und übernahm vier Mal die Regie.

Ortstermin Innenhafen, vor dem Nachtclub „Goldener Anker“. Schimanski hat mal in diesem Etablissement ermittelt. Heute bietet die Bar einen trostlosen Anblick. Eine abweisende weiße Holzfassade, ein riesiger gelber Plastik-Anker. Und Schaukästen, die „Top-Attraktionen“ versprechen. Doch zu sehen gibt es nicht viel, keine grelle Neonreklame, kein verruchtes Rot, keine nackten Tatsachen. Irgend jemand hat mit gelber Plaka-Farbe Frauensilhouetten auf dunklen Grund gemalt, und die sehen so bieder aus, dass schnell klar wird: Der Goldene Anker ist ein Relikt aus einer anderen Zeit. Seit die Binnenschiffer wegen der kurzen Ladezeiten nicht mehr über Nacht in Duisburg bleiben, „haben solche Etablissements gelitten“, sagt Harald Schrapers.

Der 37-Jährige kennt sich aus mit Duisburg und Schimanski. Er ist ein Fan der ersten Stunde. Alle Schimanskis hat er gesehen und selbstverständlich hat er die komplette Videosammlung zu Hause.

Schrapers macht Duisburg-Führungen, arbeitet für eine Bundestagsabgeordnete und nebenbei ist er eine Art Schimanski-Archivar. Der Duisburger hat Medienberichte gesammelt und dem Schmuddelkommissar eine Internetseite gewidmet. Immer wieder bekommt er E-Mails von Leuten, die „Herrn Schimanski“ bitten, ihnen ein Autogramm zu schicken. „Ich schreibe dann, dass ich ihn leider nicht erreichen kann, weil er ja irgendwo in Belgien auf einem Hausboot wohnt“, sagt Schrapers. Horst Schimanski hat es ihm so angetan, weil „er für ein positives Ruhrgebiets-Bewusstsein gesorgt hat“. In den Siebzigern sei es den meisten peinlich gewesen, aus dem Pott zu kommen. „Meine Generation dagegen ist stolz darauf.“ Und das sei ein wenig auch Schimanskis Verdienst.

Schrapers wendet sich vom „Goldenen Anker“ ab und läuft über die Schwanentorbrücke. Vieles hat sich hier verändert. Nicht nur, dass Schimanski heute Döner essen müsste. Seine Stadt ist einfach nicht mehr die selbe.

Schrapers geht die Kaimauer entlang und sucht etwas. Unter ihm plätschert das Hafenwasser dahin, der Wind hat die Wolken über Duisburg weggeweht. Es ist kein Schimi-Wetter. Schrapers zeigt auf eine kleine Nische unter der Brücke: „Da! Da hat er gelegen“, erzählt er. In seinem letzten Tatort flog Schimanski zu Hause raus und lief mal wieder ziemlich voll durch Duisburgs Innenhafen. Schließlich strandete der Kriminalhauptkommissar unter der Schwanentorbrücke und verbrachte die Nacht dort. Am Morgen danach klaute er noch eine Flasche Milch und fütterte eine Hafenkatze.

Heute wäre der Innenhafen nicht mehr der richtige Ort, um einen abgewrackten Polizisten zu zeigen. Als Umschlagplatz für Getreide wird der Hafen schon lange nicht mehr gebraucht. Deshalb durfte ihn Star-Architekt Sir Norman Foster im Rahmen der Internationalen Bauausstellung sanieren. Schick ist es geworden. Ein Stück Industriedesign zum Vorzeigen. Von seinem Platz unter der Brücke konnte Schimanski 1991 noch einen Getreidespeicher sehen. Jetzt steht da ein exklusiver weißer Bürokomplex.

Imbissbude nur als Kulisse

Schimanski müsste sich heutzutage schon auf den Weg nach Bruckhausen machen, Duisburgs Problemstadtteil. Der Weg dorthin führt durch den Matena- Tunnel. Der wäre auch heute noch eine perfekte Kulisse. Der Putz bröckelt von den Wänden, Schimmelflecken machen sich breit. Die Straße ist schlecht, die Beleuchtung auch. Am Ende des Tunnels breitet sich auf dem Thyssen-Krupp- Gelände die alte Kokerei aus. Aus einem Kühlturm steigt weißer Dampf, überall verrostetes Wellblech, kilometerlange Rohre, Ziegelschornsteine. „Das Entscheidende an Duisburg sind die Kontraste“, erklärt Schrapers das Unübersehbare. Bruckhausen war eine sehr überzeugende Kulisse für „Rattennest“. Im Vordergrund leicht heruntergekommene Wohnhäuser, am Ende der Straßen immer wieder der Blick auf verrottende Industrieanlagen und graue Fabrikmauern. „Die haben dann vor dieser Kulisse einen Imbisswagen aufgestellt“, sagt Schrapers.

In den neueren Filmen kommt Schimanski nicht mehr dazu, in Duisburg gemütlich seine Currywurst zu essen. Denn die meisten Szenen werden nicht mehr hier gedreht, sondern in den Medienzentren Köln und Düsseldorf oder im Studio. Ein Schwenk über den Hafen, ein Dialog am Containerterminal - das war’s dann schon. Früher war das Filmteam immer zwei bis drei Wochen in der Stadt. Beim neuesten Schimanski steht gerade mal ein Drehtag in Duisburg auf dem Programm. Trotzdem bleibt Schimanski irgendwie der Duisburger Haus- und Hof-Bulle. „Die Leute haben ihn als einen von ihnen akzeptiert“, glaubt Schrapers. „Er ist einfach der bekannteste Duisburger, da kann man sich auf den Kopf stellen.“


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