Von Henrike
Roßbach
Duisburg – Nur der Geruch nach Frittenfett ist der selbe.
Sonst erinnert im „City-Imbiss“ von Duisburg-Ruhrort wenig an die
Zeit, als ein ruppiger Bulle mit Schmuddel-Jacke hier Stammgast war.
Currywurst mit Pommes hat er gegessen und mit der Dame vom Grill
geflirtet. Inzwischen steht Erhan Yamal hinter der Theke und
verkauft Döner. „Vorher war hier ein Asiate drin“, sagt er, „und
davor war das eine Pommesbude.“
Diese Pommesbude hatte 1981 ihren ersten großen Auftritt. In
„Duisburg- Ruhrort“ trat ein neuer Tatort-Kommissar seinen Dienst
an: Horst Schimanski. Und ein Typ wie Schimanski brauchte als zweite
Heimat eine Imbissbude. Schon alleine deshalb, weil sich in seiner
Wohnung das dreckige Geschirr stapelte. „Die älteren Leute, die hier
reinkommen, die wissen das“, sagt Yamal. „Die erzählen dann davon,
dass hier früher Filme gedreht wurden.“ Am diesem Sonntag wird
Schimi auf den Bildschirm zurückkehren: Dann läuft der Film „Asyl“
ab 20. 15 Uhr in der ARD. Ein Teil der Handlung spielt wieder dort,
wo die Kultfigur groß geworden ist: in Duisburg.
Horst Schimanski ist wahrscheinlich der berühmteste Sohn der
Stadt. „Die Bekanntheit Duisburgs hat er auf jeden Fall gesteigert“,
sagt Josef Krings. 22 Jahre lang war Krings Oberbürgermeister von
Duisburg. Schimanskis Dienstantritt fiel mitten in seine Amtszeit.
Heute ist Krings im Ruhestand. Ein ruhiger, entspannter Mann mit
weißen Haaren. In seinem Buch „Begegnungen“ hat er dem berühmten
Kommissar ein Kapitel gewidmet – zwischen Joseph Beuys und Yehudi
Menuhin.
Duisburg und Schimanski – am Anfang war das keine große Liebe:
„Der erste Film war vielleicht der problematischste“, meint Krings.
Nachdem „Duisburg-Ruhrort“ ausgestrahlt worden war, „setzte eine
leidenschaftliche Diskussion ein: Schadet der Film dem Image der
Stadt oder nicht?“ Der Leiter der städtischen Mordkommission empörte
sich, bei ihm dürfte dieser Mann nicht mal Fahrraddiebstähle
bearbeiten. Die Duisburger fanden, ihre Stadt komme zu schlecht weg.
„Viele haben gesagt: ‚Ach, wenn die doch mal an die Seenplatten
gehen würden oder ins Universitätsviertel’“, erinnert sich Krings.
„Aber was Duisburg zu zeigen hat, sind nun mal Zechen und
Stahlwerke.“
Ihren bizarren Höhepunkt erlebte die Schimi-Diskussion aber erst
1998 mit dem Film „Rattennest“. Kinder, die unter einer Brücke
hausen und sich an brennenden Mülltonnen wärmen – das war den
Duisburgern zu viel. Die CDU- Opposition war derart empört über die
Darstellung der Stadt, dass sie im Kulturausschuss einen Antrag
stellte: Sie wollte den Abspann „Wir danken der Stadt Duisburg für
die freundliche Unterstützung der Dreharbeiten“ verbieten lassen.
SPD-Mann Krings schüttelt noch heute den Kopf über diese Aktion. Die
Mehrheit aus SPD und Grünen lehnte den Antrag dann auch ab. Krings:
„Wir hätten uns unsterblich blamiert.“ Er hat die ganze Aufregung um
die Figur Schimanski sowieso nie richtig verstanden. „Ein feiner
Pinkel hätte das Ruhrgebiet als Polizist nicht repräsentieren
können.“
Sentimentaler Prolet
Einen feinen Pinkel hatten Schimanskis Väter auch nicht im Sinn,
als sie auf der Suche nach einem neuen Kommissar für den WDR-Tatort
waren. „Wir wollten etwas ganz anderes machen als das, was es Ende
der Siebziger im Fernsehen gab“, sagt der Regisseur Hajo Gies. Mit
Kollegen von der Bavaria Film Produktion erschuf er diesen neuen
Polizisten-Typ: „Wir wollten keinen Kommissar, der für alles
Verständnis hat, sondern einen mit Ecken und Kanten, der auch mal
auf den Tisch haut.“
Duisburg schien die ideale Umgebung für einen wie Schimanski zu
sein. Schon alleine wegen des Binnenhafens, dem größten Europas:
Hier konnten Schmuggelgeschichten spielen, mit Verbindungen nach
Holland und Belgien. „Außerdem war Duisburg rein fotografisch am
interessantesten“, sagt Gies. Bei der Bavaria riefen die Ideen der
Schimi-Erfinder zunächst kein Entzücken hervor. „Ich musste
andauernd ins Büro vom Chef kommen“, erzählt Gies. „Der hat mich
dann gefragt, ob ich wahnsinnig wäre. Das Publikum würde uns den
Schimanski um die Ohren hauen.“ Auch Gies war sich seiner Sache
nicht so sicher. „Wir hatten gedacht, wir machen nur drei Filme,
dann werden wir abgeschossen“, gibt er zu.
Es kam anders: Das Publikum liebte den sentimentalen Proleten
Schimanski, samt Jacke, Kollege Thanner, Flüchen und Prügeleien. 29
Tatorte lang ermittelte er, zwölf mal unter Regie von Hajo Gies. Der
ist sich sicher, dass Schimi ein Gewinn für die Stadt war. „Duisburg
ist durch Schimanski berühmt geworden. Wer wüsste sonst, wo Duisburg
liegt? Und dass es nicht ‚Bad Duisburg’ ist, war ja bekannt.“ Aber
1991 sollte mit „Der Fall Schimanski“ Schluss sein. Gies: „Wir haben
selber Schluss gemacht und nicht gewartet, bis die Quoten
runtergehen.“ 1997 zog Götz George die Schimi-Jacke trotzdem wieder
an. Jenseits vom „Tatort” produzierte die Colonia Media zehn
Schimanski-Spielfilme. Auch Gies konnte es nicht lassen und übernahm
vier Mal die Regie.
Ortstermin Innenhafen, vor dem Nachtclub „Goldener Anker“.
Schimanski hat mal in diesem Etablissement ermittelt. Heute bietet
die Bar einen trostlosen Anblick. Eine abweisende weiße Holzfassade,
ein riesiger gelber Plastik-Anker. Und Schaukästen, die
„Top-Attraktionen“ versprechen. Doch zu sehen gibt es nicht viel,
keine grelle Neonreklame, kein verruchtes Rot, keine nackten
Tatsachen. Irgend jemand hat mit gelber Plaka-Farbe
Frauensilhouetten auf dunklen Grund gemalt, und die sehen so bieder
aus, dass schnell klar wird: Der Goldene Anker ist ein Relikt aus
einer anderen Zeit. Seit die Binnenschiffer wegen der kurzen
Ladezeiten nicht mehr über Nacht in Duisburg bleiben, „haben solche
Etablissements gelitten“, sagt Harald Schrapers.
Der 37-Jährige kennt sich aus mit Duisburg und Schimanski. Er ist
ein Fan der ersten Stunde. Alle Schimanskis hat er gesehen und
selbstverständlich hat er die komplette Videosammlung zu Hause.
Schrapers macht Duisburg-Führungen, arbeitet für eine
Bundestagsabgeordnete und nebenbei ist er eine Art
Schimanski-Archivar. Der Duisburger hat Medienberichte gesammelt und
dem Schmuddelkommissar eine Internetseite gewidmet. Immer wieder
bekommt er E-Mails von Leuten, die „Herrn Schimanski“ bitten, ihnen
ein Autogramm zu schicken. „Ich schreibe dann, dass ich ihn leider
nicht erreichen kann, weil er ja irgendwo in Belgien auf einem
Hausboot wohnt“, sagt Schrapers. Horst Schimanski hat es ihm so
angetan, weil „er für ein positives Ruhrgebiets-Bewusstsein gesorgt
hat“. In den Siebzigern sei es den meisten peinlich gewesen, aus dem
Pott zu kommen. „Meine Generation dagegen ist stolz darauf.“ Und das
sei ein wenig auch Schimanskis Verdienst.
Schrapers wendet sich vom „Goldenen Anker“ ab und läuft über die
Schwanentorbrücke. Vieles hat sich hier verändert. Nicht nur, dass
Schimanski heute Döner essen müsste. Seine Stadt ist einfach nicht
mehr die selbe.
Schrapers geht die Kaimauer entlang und sucht etwas. Unter ihm
plätschert das Hafenwasser dahin, der Wind hat die Wolken über
Duisburg weggeweht. Es ist kein Schimi-Wetter. Schrapers zeigt auf
eine kleine Nische unter der Brücke: „Da! Da hat er gelegen“,
erzählt er. In seinem letzten Tatort flog Schimanski zu Hause raus
und lief mal wieder ziemlich voll durch Duisburgs Innenhafen.
Schließlich strandete der Kriminalhauptkommissar unter der
Schwanentorbrücke und verbrachte die Nacht dort. Am Morgen danach
klaute er noch eine Flasche Milch und fütterte eine Hafenkatze.
Heute wäre der Innenhafen nicht mehr der richtige Ort, um einen
abgewrackten Polizisten zu zeigen. Als Umschlagplatz für Getreide
wird der Hafen schon lange nicht mehr gebraucht. Deshalb durfte ihn
Star-Architekt Sir Norman Foster im Rahmen der Internationalen
Bauausstellung sanieren. Schick ist es geworden. Ein Stück
Industriedesign zum Vorzeigen. Von seinem Platz unter der Brücke
konnte Schimanski 1991 noch einen Getreidespeicher sehen. Jetzt
steht da ein exklusiver weißer Bürokomplex.
Imbissbude nur als Kulisse
Schimanski müsste sich heutzutage schon auf den Weg nach
Bruckhausen machen, Duisburgs Problemstadtteil. Der Weg dorthin
führt durch den Matena- Tunnel. Der wäre auch heute noch eine
perfekte Kulisse. Der Putz bröckelt von den Wänden, Schimmelflecken
machen sich breit. Die Straße ist schlecht, die Beleuchtung auch. Am
Ende des Tunnels breitet sich auf dem Thyssen-Krupp- Gelände die
alte Kokerei aus. Aus einem Kühlturm steigt weißer Dampf, überall
verrostetes Wellblech, kilometerlange Rohre, Ziegelschornsteine.
„Das Entscheidende an Duisburg sind die Kontraste“, erklärt
Schrapers das Unübersehbare. Bruckhausen war eine sehr überzeugende
Kulisse für „Rattennest“. Im Vordergrund leicht heruntergekommene
Wohnhäuser, am Ende der Straßen immer wieder der Blick auf
verrottende Industrieanlagen und graue Fabrikmauern. „Die haben dann
vor dieser Kulisse einen Imbisswagen aufgestellt“, sagt Schrapers.
In den neueren Filmen kommt Schimanski nicht mehr dazu, in
Duisburg gemütlich seine Currywurst zu essen. Denn die meisten
Szenen werden nicht mehr hier gedreht, sondern in den Medienzentren
Köln und Düsseldorf oder im Studio. Ein Schwenk über den Hafen, ein
Dialog am Containerterminal - das war’s dann schon. Früher war das
Filmteam immer zwei bis drei Wochen in der Stadt. Beim neuesten
Schimanski steht gerade mal ein Drehtag in Duisburg auf dem
Programm. Trotzdem bleibt Schimanski irgendwie der Duisburger Haus-
und Hof-Bulle. „Die Leute haben ihn als einen von ihnen akzeptiert“,
glaubt Schrapers. „Er ist einfach der bekannteste Duisburger, da
kann man sich auf den Kopf stellen.“