Rheinische Post vom 17.11.1998
Schimanskis falsche Märchenwelt läßt
Duisburg ziemlich kalt
Von HILDEGARD CHUDOBBA
DUISBURG. Eigentlich unglaublich: Gestern morgen ist tatsächlich
über Bruckhausen die Sonne aufgegangen. Nach dem Sonntagabend-Krimi
mit Schimanski grenzt das an ein Wunder. Denn Bruckhausen, das ist jener
Duisburger Industriestadtteil, in dem ein Großteil der apokalyptischen
Szenen für das "Rattennest" gedreht wurden.Eigentlich unglaublich:
Ralf Cervik, Leiter des Bezirksamtes Meiderich, ging gestern unbewaffnet
durch sein "Revier". Er fürchtete weder Junkies noch Autodiebe oder
ausländische Gangster. Cerviks Bezirk ist jener in Duisburg, in dem
laut Schimanski die nackte Gewalt herrscht, Straßenterror, Mord und
Totschlag an der Tagesordnung sind.
Eigentlich unglaublich: Ralf Meurer, Geschäftsführer der
Gesellschaft für Wirtschaftsförderung, hielt gestern in Neuss
einen Vortrag über Call-Center, die in Duisburg wie Pilze aus dem
Boden schießen und hochwertige Arbeitsplätze schaffen. Meurer
warb für die Stadt, in der laut "Rattennest" Arbeitslose den Aufstand
proben, skrupellose Industriebosse Arbeitsplätze vernichten und "Frieden"
ein Fremdwort ist.
Im Morast Drogen, Gewalt und Arbeitslosigkeit mit den Ratten zu versinken.
Aber war "Schimi" da eigentlich in Duisburg tätig? Seine Wohnung zumindest
- passender: sein versifftes Rattenloch - liegt jedenfalls in einem Hochhaus
im Kölner Univiertel. Aber die Straßenzüge mit den heruntergekommenen
Wohnblocks, vor denen Nutten und Stricher auf Kunden warten - die gibt
es doch in Duisburg, oder? Nein, nicht mehr: Die Häuser standen jahrelang
leer, werden zu Zeit abgerissen, weil dort Platz für moderne Gewerbebetriebe
geschaffen wird. Und das Stricher- und Rotlichtmilieu ist so unbedeutend,
daß es nicht einmal in einem Dorf, geschweige denn in einer Halb-Millionen-Einwohner-Stadt
auffallen würde.
Aber die brennenden Wässer, vor denen Obdachlose lungerten ...
Ach ja, da war was! Damals, 1988, als Schimanski sich mit den streikenden
Krupp-Arbeitern solidarisch erklärte, standen vor den Werkstoren tatsächlich
Fässer mit glühenden Kohlen, an denen sich Streikposten wärmten.
Irgendwie muß den Filmemachern da etwas durcheinandergeraten sein.
Der saufende, prügelnde, hurende Ex-Bulle Schimanski hat den deutschen
Fernsehzuschauern am Sonntag abend mal wieder richtig gezeigt, daß
Duisburg so schmierig ist wie er selbst. Dort herrscht ja angeblich Endzeitstimmung,
und 530 000 Einwohner warten nur noch hoffnungslos darauf, im Morast aus
Eigentlich unglaublich: In Duisburg gab es gestern kein lautes Aufheulen
oder Wehklagen über diese miese Art der Stadtwerbung im Fernsehen.
Oberbürgermeisterin Bärbel Zieling hatte sich - wohlwissend,
was sie bei Schimanski erwartet - den Krimi gar nicht erst angeschaut.
Und am Tag danach hatte sie Wichtigeres zu tun, als sich ernsthaft mit
solchen Märchen zu befassen. Schließlich hielt Nobelpreisträger
Prof. Dr. Reinhard Selten gestern einen Vortrag an der Duisburger Uni;
zeitgleich wurde der Schriftsteller Ole Könnecke mit dem NRW-Kinderbuchpreis
ausgezeichnet, weihten die Städtischen Kliniken drei neue Operationssäle
für die Neurochirurgie ein, in der Patienten aus der gesamten Welt
behandelt werden.
Und im Stadtteil Bruckhausen? Da unterhielt man sich darüber,
daß Thyssen Krupp bald eine neue Kokerei bauen wird. Und wenn die
erst einmal in Betrieb ist, wird Schimanski noch mehr in der Nachbarschaft
wildern müssen, um Duisburgs angeblich elendes Gesicht konstruieren
zu können.
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